pforzheim

Seminar für die Hochschule Pforzheim Fakultät für Gestaltung Bachelor-Studiengang: Schmuck und Objekte der Alltagskultur

Sommersemester 2012

Titel:                Rituale und Objekte

Welche Rituale begleiten heutzutage unseren Alltag und welche Objekte veranschaulichen diese Rituale? Ist die Führerscheinprüfung unser heutiges Initiationsritual? Sind Tattoos, Piercings, eine Rolex oder ein iMac die Statussymbole unserer Gesellschaft? Warum stehen in meinem Wohnzimmer alte Knochen, Steine, ein geerbter tragbarer Reliquienaltar, Fotos oder Gefundenes, die mich an etwas Bestimmtes erinnern?  Warum sammeln Menschen solche Dinge? Kann es sein, dass eine, den Objekten innewohnende Kraft in unserer vernunftorientierten Gesellschaft spürbar ist? Können Dinge Identität stiften, weil sie Lebensgeschichten erzählen?

Mit diesem Kurs möchte ich mit den Studenten die Beziehung zwischen Mensch und Objekt erforschen und die Studenten dazu anregen, sich künstlerisch mit diesem Thema auseinander zu setzen. Da solche Objekte oft mit Ritualen verbunden sind, wird davon auch die Rede sein. Warum werden bestimmte Gegenstände zu „besonderen Dingen“ auserwählt? Welches sind die Bedürfnisse, die solche Objekte beim Betrachter stillen? Unser Ziel ist es, Stücke zu entwerfen, die als „Begleitwesen“ in Beziehung zu den Menschen treten, die möglicherweise Rituale andeuten oder sogar neue Rituale erschaffen. Unser Ziel ist es, Stücke zu entwerfen, welche durch ihre Handhabung und Form ihrem ursprünglichen semantischen Signifikat entsprechen.

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Zur Information folgt eine kurze Zusammenfassung des Projektes mit dem ich mich momentan beschäftige und welches mich zu dem Inhalt meiner Lehrveranstaltung inspiriert hat.

place-ment“

Mit dem Projekt „place-ment“ möchten wir die Arbeiten dreier Künstlerinnen zeigen, die durch Umzüge, Übersiedlung oder geopolitische Veränderungen mit einem fremden Land konfrontiert worden sind. Reflexionen über kulturelle und psychische Identität sind die gemeinsame Basis, auf der die Künstlerinnen sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise bewegen. Johanna Zellmer (Deutschland) wohnt in Neuseeland und ist mit der Frage der nationalen Identität und den ikonografischen Symbolen, die eine solche Identität zeigen und prägen, beschäftigt. Beate Eismann (Deutschland) wohnt bei Halle und ist momentan mit der Untersuchung beschäftigt, wie Schmuck in unterschiedlichen Kulturkreisen verstanden und benützt wird. Alessandra Pizzini (Italien) wohnt in Deutschland und recherchiert im Moment über persönliche Dinge als identitätsbildende Objekte.

Persönliche Dinge als identitätsbildende Objekte

von Alessandra Pizzini

Es gibt Dinge, die den Menschen anscheinend wichtig sind. Persönliche Objekte oder Lieblingsdinge sind meistens Sachen, die eine Person aus unterschiedlichen Gründen liebgewonnen hat und besonders pflegt und/oder an besonderen Orten aufbewahrt. Hier beispielsweise einige Kategorien von Dingen, die als persönliche Objekte empfunden werden: Erinnerungstücke, gefundene Naturobjekte, handgefertigte Sachen, Schmuck, Fotos, Designstücke, eine alte Teekanne, Kuschelbären, Kleider, Erbstücke, Briefe. Besonders interessiert mich die Bedeutung von Schmuck als identitätsbildendes Objekt und von anderen persönlichen Objekten, die durch ihre intime Konnotation als Talisman bezeichnet werden können. Als Beispiel möchte ich kleine Reliquienaltare zum Mittragen, Fotoschatullen, geheimnishütende Schachteln, Schlafkissen und kleine Objets trouvés nennen.

Solche Dinge haben verschiedene Funktionen, die ich in meinem Projekt analysieren werde. Es sind Stücke, über die wir unser Selbst definieren und womit wir uns gesellschaftlich positionieren – mehr oder weniger bewusst. Angefangen vom Tüchlein, das ein Säugling als Übergangsobjekt (siehe Winnicott

Übergangsobjektstheorie) braucht, um die fehlende ständige Präsenz der Mutter zu bewältigen, bis zum wertvollen Bild, das uns unser Vater beim Umzug geschenkt hat und jetzt in der neuen Wohnung hängt, dienen Dinge dazu, eine gewisse psychische Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Es gibt besondere Situationen, in denen das Bedürfnis nach solchen Objekten sehr ausgeprägt ist. Meist stellen solche Momente Übergangsphasen dar, die für Veränderungen und Übertritte in neue persönliche oder gesellschaftliche Situationen stehen. Übertritte werden oft durch Rituale und eben das konkrete Objekt symbolisiert. Wie eine anthropologische Konstante scheinen solche Dinge den Menschen schon immer zu begleiten mit ihrem einmaligen symbolischen und fetischartigen Charakter. Von Geburt und Initiationsritualen bis zu Heirat und Tod begleiten solche Stücke den Menschen in die nächste Lebensphase, um ihn zu schützen und stärken für seine neuen Aufgaben. Mir scheint besonders interessant, die Wichtigkeit solcher Momente in unserer Gegenwart hervorzuheben, um gewisse Rituale und Traditionen wieder inhaltlich zu reflektieren, oder neue Rituale zu schaffen. Meine Recherche beinhaltet sowohl eine theoretische wie eine praktische Arbeit.

Bei meiner theoretischen Arbeit möchte ich einen kurzen Beitrag über obengenanntes Thema schreiben. Als Methoden stelle ich mir sowohl klassische bibliografische Arbeit wie Befragungen vor. Auf Basis meiner theoretischen Recherche möchte ich mich künstlerisch zu folgenden Themen ausdrücken: Geburt – Beziehung – Ehe – Umzug – Talisman – Erinnern – Reliquie/Tod

Ein anderer wichtiger Aspekt meiner Recherche ist die Untersuchung der Beziehung zwischen den Objekten und den Orten, an denen diese besonderen Dinge aufbewahrt werden. Denn nicht selten dienen persönliche Objekte der Personalisierung bestimmter Räumlichkeiten, die dadurch Schutzfunktion erhalten. Bei der geplanten Ausstellung werde ich durch mein Raumkonzept die dekontextualisierten Objekte in neue Beziehungen zueinander stellen. Diese räumlichen Verflechtungen spiegeln den Inhalt meiner Recherche und werfen die Frage auf: Warum stehen diese Dinge nebeneinander? Und genau diese Fragestellung ermöglicht dem Zuschauer, die semantische Bedeutung solcher Objekte zu hinterfragen.

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